Öffentlicher Vortrag Juni 2024

Freitag, 14.06.2024

19.30 – 21.30 Uhr

Claudia Lemke (Hamburg) und Robin Cackett (Berlin)

Der Blick aus der Ferne

Was kann der Blick aus der Ferne, der ja ein Blick in die Ferne und zurück ist, zur psychoanalytischen Theorie und Praxis beitragen? Seit sich Freud durch Wilhelm Wundts Völkerpsychologie und die mythologischen Arbeiten seines zeitweiligen Wegbegleiters C.G. Jung zu seiner psychoanalytischen Spekulation über den Ursprung der Gesellschaft in der Vatertötung anregen ließ, die die Einführung eines Gesetzes mit dem Inzestverbot und dem Exogamiegebot verknüpfte, gehört die Auseinandersetzung mit sozialanthropologischen Schriften zum Kernbestand psychoanalytischer Theoriebildung. Doch seit Malinowskis Kritik an der Universalität des Ödipuskomplexes stellt sich auch die Frage nach der allgemeinen Anwendbarkeit ihrer Konstrukte. Gegen eine gewisse Leichtfertigkeit, die darin liegt, sich ethnographischer Beschreibungen Anderer zur Bestätigung, Präzisierung oder Widerlegung von eigenen Denkpositionen zu bedienen, scheint uns heute die Infragestellung des eigenen begrifflichen Rüstzeugs unerlässlich. Inwiefern impliziert die Rede von Blick und Ferne ein bestimmtes szenisches Arrangement, in dem koloniale Verhältnisse anklingen? In welchem Verhältnis stehen die als anthropologische Grundtatsachen supponierten Konzepte des Gesetzes und der symbolischen Ordnung zu spezifischen Lebensweisen? Was sind ihre politischen und epistemischen Voraussetzungen? Können Alteritäten anders gedacht werden als im Rahmen der eigenen Episteme und wenn ja wie? Oder findet in der psychoanalytischen Praxis gar eine Ausarbeitung von Differenz und Gleichheit statt, wie sie Helen Verran für postkoloniale Momente beschrieben und reklamiert hat?

Psychoanalyse und Ethnologie haben in unserem Wissen einen privilegierten Platz inne […], weil sie an den Grenzen aller Erkenntnisse über den Menschen mit Sicherheit einen unerschöpflichen Schatz von Erfahrungen und Begriffen, aber vor allem ein ständiges Prinzip der Unruhe, des Infragestellens, der Kritik, des Bestreitens dessen bilden, was sonst hat als erworben gelten können“, schrieb Foucault.

Mit solchen Beunruhigungen werden sich beiden Vortragenden an konkreten Beispielen beschäftigen.

Claudia Lemke, Studium der Psychologie in Hamburg/Wellington (NZ) und Auckland (NZ), Magister in Anthropologie (Auckland, indigene Teilhabe an medialer Repräsentation), Staatsexamen Lehramt und Promotion im Bereich ästhetischer Bildung. Arbeit als Lehrerin und ist Psychoanalytikerin in eigener Praxis.

Robin Cackett, M.A., Psychoanalytiker in freier Praxis; Gründungsmitglied der Freud-Lacan-Gesellschaft Berlin; 1991/92 Begleitung einer Feldforschung in einem Bergdorf in den Finisterre Mountains, Papua Neuguinea; Übersetzer u.a. von Dipesh Chakrabarty, „Europa als Provinz“, und Conrad/Randeria/Röhmhild (Hg.), „Jenseits des Eurozentrismus“, beide Campus.

Veranstaltungsort: Psychoanalytische Bibliothek Berlin

Hybrid Veranstaltung, Anmeldung unter info@psa-kolleg.de

Eintritt: 10/5€ auf das Konto des Psychoanalytischen Kollegs: DE 71 2005 0550 1282 1511 56