„Sublimierung und Gewalt“

ÖFFENTLICHER VORTRAG
am Freitag, den 22. Jan. 2021 um 19:00h

von Claus-Dieter Rath (Berlin)*
Moderation: Peter Müller
Eintritt: 10/5€

Die Veranstaltung findet via ZOOM statt. Wir bitten um Anmeldung unter: klausdorff@yahoo.com

Sublimierungsarbeit hebt einen Triebwunsch durch kunstvolle Verwandlung auf. Sie ermöglicht neue Wege und Objekte der Befriedigung. Obwohl Freud davon sprach, dass bei der Sublimierung der „ursprünglich sexuelle Trieb […] in einer nicht mehr sexuellen, sozial oder ethisch höher gewerteten Leistung Befriedigung findet“ (GW 13, S. 231), kann sie weder auf Triebverzicht noch auf eine pauschale Entsexualisierung reduziert werden. Sie ist in erster Linie ein Verzicht auf Verdrängungsarbeit und in gewissem Ausmaß auch auf Wege der Perversion. Sie erlaubt dem Subjekt eine Annäherung an sein Urverdrängtes (an das so genannte Ding, das Lacan als la chose weiter theoretisieren sollte) und impliziert eine Auseinandersetzung mit persönlichen und kulturellen Idealen.

Mit beeindruckender Bestimmtheit lässt Freud die Sublimierung im Unbestimmten, etwa verglichen mit dem, was er zum Triebschicksal der Verdrängung ausarbeitet. Es ist denkbar, dass der Sublimierungsvorgang selbst etwas mit diesem Leerraum zu tun hat.

Die „Steigerung der psychischen Leistungsfähigkeit“, die ihr zu verdanken ist, wird zu einer Quelle unserer Kulturleistungen und der künstlerischen Arbeit – was nicht heißt, dass Sublimierung Künstlern oder einer Kulturelite vorbehalten sei.

Die Sublimierungsarbeit wird durch aktuelle gesellschaftliche Bedingungen gefordert, gefördert oder erschwert. So können wertvolle soziale Bindungen aufleben oder Macht und der Spielräume der Gewalt zunehmen – als Zerstörung, Herrschaftspraktiken, sexualisierte Beziehung zum Mitmenschen und als struktureller Zwang.

Wie haltbar sind die erzielten Sublimierungsleistungen und die Sublimierungsfähigkeit der Subjekte, wenn in Krisenzeiten unter dem Ansturm neuer Anforderungen die Triebökonomie aus den Fugen gerät? Wie leicht werfen wir die als Joch empfundene Zivilisiertheit ab zugunsten einer vermeintlichen Natürlichkeit, die zur Entsubjektivierung führt und in Barbarei und Selbstzerstörung endet?

* Claus-Dieter Rath ist Psychoanalytiker in Berlin. Mitbegründer der Freud-Lacan-Gesellschaft – Psychoanalytische Assoziation Berlin (1997), des Psychoanalytischen Kollegs (2004), der Psychoanalytischen Bibliothek Berlin (2011) und der Fondation Européenne pour la Psychanalyse (1991). Veröffentlichungen über Fragen der psychoanalytischen Praxis, der Geschichte der Psychoanalyse und über die Massenpsychologie des Alltagslebens. Autor von „Der Rede Wert. Psychoanalyse als Kulturarbeit“ (2013) Wien/Berlin (Turia+Kant). „Sublimierung und Gewalt. Elemente einer Psychoanalyse der aktuellen Gesellschaft“ (2019) Psychosozial-Verlag (Gießen). Mitherausgeber von (mit Jutta Prasse) „Lacan und das Deutsche. Die Rückkehr der Psychoanalyse über den Rhein“. Freiburg i. Br. 1994. (mit André Michels, Peter Müller, Achim Perner) „Jahrbuch für klinische Psychoanalyse“. Tübingen: edition diskord (1999-2008)